Westeuropa 9 mit der AIDAsol, Lissabon 25.08.15
Ich weiß auch nicht: Das Einlaufen in Lissabon ist ein Traum. Die Altstadt ist Verfall. Die Neustadt ist reizvoll. Doch die Gefahr allgegenwärtig. Und die Brillenverkäufer. Und Aromen.
Aus der Elbe in die Fjorde, Westeuropa hinunter bis nach Gran Canaria
AIDAsol 2015
Wir werden von einem lauten Heulen geweckt. Es wird immer lauter und hört sich an wie eine Kombination aus Autobahn, Eisenbahn und Flugzeug, die direkt durch unsere Kabine saust.
So ungefähr ist das auch, wir fahren gerade unter der 3,2 km langen Brücke des 25. April hindurch. Diese ähnelt der Golden Gate Bridge, ist auch rot, das besondere ist, dass die Autos auf einer gelochten Fahrbahn fahren. Das sieht von unten aus, als ob die Autos auf Metallrosten fahren. Unter der Fahrbahn liegen Schienen und neben der Brücke ist die Einflugschneise des Flughafens.
Ein Reisebericht für ganz Lissabon
Nun sind wir jedenfalls wach und werfen den ersten Blick auf Lissabon.
Wozu aber schreibe ich eigentlich Reiseberichte? Beim Einlaufen telefoniert auf dem Balkon neben uns eine junge Frau lang und lautstark und erzählt weitschweifig von gestern. Das ist nicht das erste Mal, doch wieso komme ich erst heute auf die Idee, das einfach mit dem Handy aufzuzeichnen und bei google+ zu veröffentlichen? Vielleicht ergänzt um in paar vergessene Details. Nein, doch nicht, nun hat sie das auch noch erzählt. Aber so haben nicht nur die Balkone an der Steuerbordseite, sondern auch halb Lissabon gleich noch eine nette Tageszusammenfassung bekommen. Da nicht jeder Portugiese deutsch spricht: Vielleicht kann ich sie bitten, das noch einmal in Englisch zu wiederholen, wie bei der Seenotrettungsübung.
Letztes Mal die Altstadt
Es ist heiß. Pralle Sonne bei 28°C. Schon bei meinem obligatorischen Rundgang auf dem Oberdeck komme ich ins Schwitzen. Vor uns breitet sich Lissabon aus. Wir liegen direkt vor der Altstadt Alfama, ich bin aber der Meinung, dass wir etwas weiter Tejo-abwärts liegen als letztes Mal. Das bedeutet aber auch, etwas näher an der City. Haben wir beim letzten Mal mehr zufällig die hügelige Altstadt mit ihren schmalen Straßen, hohen Treppen und alten Häusern, mit leider auch ihrem Verfall ausführlich erkundet, wollen wir heute das Geschäftsviertel ansehen. Wobei uns unsere Jüngste seit Wochen in den Ohren liegt, dass unser Ziel das Hard Rock Café sein muss. Nun denn.
Nebenbei: „Ausführlich erkundet“ heißt auf Deutsch: Heillos verlaufen. Verloren gehen konnten wir nicht, weil das Viertel so am Berg liegt, dass wir immer wieder das Schiff unten im Hafen sehen konnten, aber das zurechtfinden durch die Gassen war schwierig. In dem Zusammenhang erinnert sich der geneigte Leser möglicherweise, dass ich darüber geklagt habe, dass der AIDA-Stadtplan dermaßen schlecht ist, dass er überhaupt nicht hilft. Nun ist er ja nur sehr grob und die Fülle an Gassen kann dort nicht eingezeichnet sein, aber dass er so gar nicht hilfreich ist, haben wir in anderen Häfen besser erlebt. Geändert hat sich auch jetzt nichts: Es ist auch heute unmöglich, den genauen Liegeplatz auf dem Plan zu bestimmen.
Diesmal die Neustadt
Vor dem Schiff ist eine Hafenzeile, die komplett brach liegt. Ein paar verfallene Lager, blanke Erde, darum Bauzaun. Wir gehen dadurch und sind dann aber auch schon in der Stadt.
Lissabon liegt an der Mündung des Tejo und ist auf 7 Hügeln gebaut. Zwischen den Hügeln befinden sich tiefe Taleinschnitte. In einem solchen Einschnitt liegt der Stadtteil Baixa, zwischen der Altstadt Alfama und dem In-Viertel Chiado, direkt am Tejo.
Am Fluss entlang gehen wir in 10 Minuten zum Praça do Comércio. Hier stand einst der Königspalast, den das Erdbeben von 1755 zerstört hat. Heute ist auf dem sonst leeren Platz nur eine Statue. An der Stirnseite dieses Platzes ist ein riesiger Triumphbogen in einen Gebäudekomplex integriert. Durch diesen hindurch gehen wir in einen Bereich, in dem die Straßen nach den Erdbeben wie ein Schachbrett wieder aufgebaut wurden. Der größte Teil des Bereiches hinter dem Triumphbogen ist eine breite Fußgängerzone mit vielen Geschäften und Restaurants. Allerdings verlaufen quer hierzu unzählige Straßen, so dass wir immer wieder über eine Ampel müssen. Brav warten wir natürlich, bis die Fußgänger grün bekommen, was offensichtlich bei vielen Ampeln niemals passiert. An den großen Straßen klappt das, an den kleinen gibt es keine Chance auf Grün. Also passen wir uns an und immer rüber, wenn grad kein Auto kommt. Ungewohnt.
Muster auf der Straße
Wir gehen die Rua Augusta ganz durch bis zu einem großen Platz, dem Praça Dom Pedro IV. Die ganze Zeit über sind Muster in das Straßenpflaster gelegt, hier auf dem Platz so geschickt, dass wir genau hingucken müssen, dass der Boden nicht wirklich wellenförmig ist. Dahinter geht es in die Avenida Liberda, in der sich weitere Geschäfte befinden, unter anderem das so begehrte Hard Rock Café. Tatsächlich ist dies voller AIDA-Touristen, die hier T-Shirts erstehen. In aller Unwissenheit dachte ich eher an ein Hard-Rock-Tchibo, nur Kaffee sieht man hier nicht…
Zurück geht es entlang der Rua Auréa, in der früher die Goldschmiede waren, heute wieder eine Fülle kleiner Geschäfte, bis zum Elevador de Santa Justa. Dieser Fahrstuhl aus Metall befördert die Touristen in die Oberstadt, die über eine Metallbrücke mit dem Fahrstuhl verbunden ist. Davor steht aber schon eine lange Schlange, an der wir uns vorbeidrängen, um wieder Richtung Triumphbogen zu gehen. Hierdurch gehen wir wieder und finden ein etwas schattiges Plätzchen unterhalb des Reiterstandbilds von König José I. Hier riecht es zwar penetrant nach Urin und was auf den Stufen drauf ist, wollen wir nicht wirklich wissen, folglich ist heute Abend wieder waschen angesagt. Aber die Pause von der prallen Sonne tut gut, Wasser haben wir auch dabei, ist ja immer ein Freiwilliger, der das schleppt. Um niemanden zu kompromittieren verrate ich an dieser Stelle nicht, wer das ist, aber ich halte den ganzen Weg den Rucksack vorne an den Bauch gepresst, mit einem Arm umschlungen.
Kriminalität schreckt uns ab
Und das ist genau das, was uns Lissabon wieder mit Skepsis sehen lässt. Der Anblick vom Wasser aus ist fraglos ein Traum, auch hier in der Stadt könnte es so schön sein, wenn die ganze Kriminalität nicht wäre. In bisher keinem Hafen war eine so ausführliche Sicherheitswarnung wie in dieser AIDA-Hafen-Info. Häufige Taschendiebstähle, Kleinkriminalität, bloß keinen Widerstand leisten. Danke.
Wir stoßen allerdings nur auf die üblichen Wasser- und Sonnenbrillen-Verkäufer. Einer von uns trägt schon eine Ray Ban – Brille (Ray wer?) und ist ganz empört, dass so ein Verkäufer trotzdem eine echt gefälschte Markenbrille anbietet.
Es ist viel Polizei auf den Straßen zu sehen, aber das reicht hinten und vorne nicht. Und darum fühlen wir uns unwohl. Natürlich passt das alles zusammen, der Verfall in der Altstadt, auch hier in den Straßen immer wieder Verfall, besonders in den oberen Stockwerken. Das zeugt von der Armut des Staates und daran hängt die Armut der Bevölkerung und daran wiederum die Kriminalität. Das lässt sich nicht mit Polizei lösen. Aber es gibt auch Zeichen, dass es besser wird: So viele Baukräne haben wir in der Vergangenheit nicht gesehen, es geschieht an einigen Stellen Aufbau. Aber auch das sehen wir – und wehe hier wirft mir jemand Vorurteile vor – ich habe noch nie so viele Bauarbeiter auf einem Haufen gesehen. Die tief gebeugt über der Arbeit stehen. Und dieser zuschauen. Beim Hinweg. Und beim Rückweg.
Stufen am Tejo
Nach diesen Betrachtungen haben wir wieder Kraft genug für den weiteren Weg. Wir gehen noch nicht Richtung Schiff, sondern direkt weiter an den Tejo. Hier ist eine Promenade Richtung Flussmündung gebaut, teils entlang aufgeschütteter Felsbrocken, teils an einem winzigen Sandstreifen, der prompt als Badehandtuch-Liegefläche genutzt wird, teils an ausgedehnten Treppen vorbei, die zum Wasser hin abgeschrägt sind und eine wichtige Aufgabe haben. Hier kommen uns unsere Hamburg-Erfahrungen zu gute. Wer schon mal am Elbstrand lag, wenn ein großer Pott die Elbe entlang fährt, weiß was ich meine. Entsprechend ermahnen wir die Kinder, aber eine kleine Schnellfähre ist in ihren Augen kein großer Pott und so kommt es überraschend, als plötzlich die Wellen die Treppen hochklatschen. Nasser Po für diejenigen, die auf den Treppen saßen, in letzter Sekunde gerettete Schuhe für diejenigen, die barfuß ans Wasser gehen und die Schuhe vermeintlich sicher auf höhere Treppenstufen abstellen. Hm, auch das ist ein Aroma, wenn man die Käsefuß-Einlagen aus den Schuhen zieht und auswringt…
Hier ist es schön und hier halten wir es auch länger aus. Immer wieder schwimmt ein Schwarm Fische in das ganz flache Wasser über der untersten Stufe, ich vermute, dass sich darauf Algen gebildet haben. Hinter uns eine breite Promenade, daneben ist die Straße wegen Baustelle für den Verkehr gesperrt, das ist sehr schön ruhig.
Leider legen wir aber heute schon um 16 Uhr ab, so dass wir wieder los müssen. Erschöpft sinken wir dann in die Sol Bar zu einem kühlen Milchshake, können noch etwas spielen und positionieren uns dann auf dem Balkon zum Auslaufen. Offensichtlich kommt das frühe Auslaufen für manchen überraschend, denn als längst alles abgebaut ist, kommen noch Einzelne im Sprint mit Plastiktüten in der Hand zum Schiff gelaufen und dürfen über die letzte verbliebene Gangway, die heute nebenbei ausgesprochen wackelig ist, an Bord.
Noch einmal ein Blick über die ganze Stadt
Das Auslaufen ist wunderschön. Zunächst legen wir ab in Richtung Flussmitte, haben damit noch einmal einen tollen Blick über die Altstadt, den Bereich, durch den wir gegangen sind, die Promenade, an der wir saßen. Auch viele der Sehenswürdigkeiten, die wir heute nicht besucht haben, können wir jetzt sehen, Burg, Kirchen, Denkmäler.
Wir fahren wieder unter der lauten Brücke durch, fahren auch an den Stadtteilen vorbei, die zu weit weg zum Erlaufen sind. Alles liegt in voller Sonne und ist so schön, dass wir gut verstehen können, wenn viele trotz aller Probleme von der Stadt eingenommen sind.
So gelangen wir dann bald auf den Atlantik und es wird Zeit zum Essen.
Abends lauschen wir noch einmal dem Comedian Jens Heinrich Claassen und dem Interview mit dem Kapitän. Danach gönnen wir uns mal einen Drink an der Saftbar Time Out Bar. Der Drink aus Joghurt, Vanille, Orange und Erdbeere heißt „Meerblick“ und ist richtig lecker. Heute bekomme ich ihn auch ohne Probleme, als ich ihn bei einer der letzten Fahrten bestellt habe, sagte die Barkeeperin allen Ernstes, ich soll doch mal nebenan aus dem Fenster schauen, dann hätte ich meinen Meerblick…
Die nächste Etappe sind 537 Kilometer bis Cádiz.
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